Geschichtliches zur Grabstelle der Pionierkameradschaft Havelberg – Taucherlehreinheit 40

08.06.2022 Übersicht über die

Taucherlehreinheit-40 der ehemaligen DDR

Hartmut Pohl

Zugführer und Kompaniechef der TLE-40

Vor 50 Jahren kam eine Tauchereinheit nach Havelberg

Ende der 60-ger Jahre wurde eine Tauchereinheit in Dessau aufgebaut. Unter Führung von Major Otto Schulz wurden in Zugstärke Soldaten und Unteroffiziere zum Taucher ausgebildet.  Die Einheit in Dessau trug den Namen Taucherlehreinheit-2. Otto Schulz selbst hatte das Taucherhandwerk in Stralsund gelernt.

Mit der Fertigstellung der neuen Kaserne für das Pontonregiment -5 und dem Landeübersetzbataillion-5 in Havelberg ergaben sich Kapazitäten für die Stationierung von Tauchern in Havelberg.

Am 01. 12. 1971 kam die TLE-2 unter Leitung des ersten Kommandeurs Otto Schulz nach Havelberg.

Die selbstständige Taucherlehreinheit wurde gegründet um den ständigen Bedarf an Tauchern in der Pioniertruppe Rechnung zu tragen.

Die Pioniertruppenteile hatten einen jährlichen Bedarf von etwa 120 Pioniertauchern, 30-40 Obertauchern (Unteroffizieren) und 12 Pioniertauchermeistern.

Die natürliche Geländesituation der Elbe und Havel um Havelberg, Der Sprengplatz nahe Glöwen und die Seen in Hohengöhren und Kyritz boten eine kompakte und effiziente Voraussetzung zur Ausbildung von Tauchern.

Die Havelberger Kaserne bot für damalige Verhältnisse modernen infrastrukturellen Standard, mit Unterkünften und Funktionsräumen, Schwimmhalle mit Tauchtopf, inclusive Sauna, Sporthalle mit Krafträumen, einem Kompressor Gebäude und einer Unterkellerung der Schwimmhalle zur Lagerung materieller Taucherausrüstung.

 

Die Unterrichtung der Taucherschüler erfolgte im modernen Hörsaalgebäude. Unterrichtet wurde in den Fächern Taucherkunde, Taucherphysik, Tauchermedizin und in der Sprengausbildung.

Am 02.12.1972 erfolgte die Namensgebung „Taucherlehreinheit-40“.

Unterstellt war die TLE-40 dem Chef Pionierwesen im Kdo Landstreitkräfte in Potsdam dem Generalmajor Horst Pankau.

Die heimliche Führung erfolgte aber durch den Ex- Generalleutnant; Arthur Franke.

Der 65jährige war 16 Jahre lang an der Spitze der Militäraufklärung, zugleich einer der erfolgreichsten deutschen Geheimdienstchefs.

Franke wurde als Pensionär Präsident des DDR Tauchsportclubs und forcierte intensiv in der GST die Ausbildung jugendlicher zum Taucher.

Aufgrund der Militärdoktrin des Warschauer Vertrages in den 70-ger Jahren, galt es in Westeuropa eine große Anzahl an Gewässern aus der Bewegung zu überwinden. Dabei sollten angreifenden Panzerdivisionen Brückenköpfe bilden und die Entfaltung nachfolgender Truppe gewährleisten.

Tauchern kam die Aufgabe zu, Übersetzstellen und Furten innerhalb der Gewässer aufzuklären, Trassen zu kennzeichnen, Sperren unter Wasser zu beseitigen und Hindernisse unter Wasser zu räumen oder zu sprengen.

Die in der ehemaligen DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte verfügten über wenige, zum Teil schlecht ausgerüstete Taucher. Fast 100 % der Tauchereinsätze für die sowjetischen Streitkräfte bei Übungen oder Havarien wurden durch NVA Taucher geleitet und durchgeführt.

Die in Havelberg ausgebildeten Taucher hatten mindestens einen 10 Klassen Schulabschluss, eine abgeschlossene Berufsausbildung oder Abitur. Eine weitere Grundvoraussetzung war eine sportliche und medizinische Eignung.

Ca. 30 % der Lehrgangsteilnehmer hatten eine Vorausbildung als GST-Taucher.

Für die Ausbilder der TLE-40 waren das ideale Voraussetzungen für den Ausbildungsprozess der Männer unter Wasser.

Die Struktur der Taucherlehreinheit bestand neben der militärischen Führung aus 4 Zügen.  Aus einem technischen und Versorgungszug, dem Unteroffiziersausbildungszug und 2 Zügen in denen Mannschaftsdienstgrade zum Taucher ausgebildet wurden.

 

Parallel zur theoretischen Ausbildung begann die Ausbildung unter Wasser.

In der Schwimmhalle, im klaren Wasser erfolgte das Erlernen der Grundfertigkeiten. Strecken wurden unter Wasser geschwommen und einfache Arbeitsübungen trainiert.

Die Fortsetzung erfolgte im 6 m tiefen Tauchkessel. Bei Wassertemperaturen um die 10-12°C und erhöhten Druckverhältnissen wurden Arbeitsübungen unter schlechterer Sicht und in Normzeit trainiert.

Die Ausbildung wurde dann in den Kies-Seen nahe Hohengören, in der Havel am Wasserübungsplatz in Nitzow und in der Elbe nahe Quitzöbel/Gnevsdorf fortgesetzt. Hier wurden auch die praktischen Taucherprüfungen abgelegt.

Während des Lehrganges durchliefen die Soldaten und Unteroffiziere eine 80-stündige Sprengausbildung, an die sich das Unterwassersprengen im Sprengsee auf dem Wasserübungsplatz in Nitzow anschloss.

 

Die Taucherausbilder waren gestandene gut ausgesuchte Männer, wie die Fähnriche Dieter Freitag, Roger Meyer, Rolf Wernitz oder Dirk-Jochen Borchert, die über 1000 Tauchstunden und allen Berechtigungen im Tauch und Sprengdienst verfügten.

Als Techniker unterstützte Ottmar Züge.

Die Ausbildung verlangte höchstes Verantwortungsbewusstsein und Einsatzbereitschaft. Dadurch waren Ausbilder und Lehrgangsteilnehmer eine verschworene Gemeinschaft auf die man sich jederzeit verlassen konnte. Mit dem Kompaniefeldwebel Dieter Kunze verfügte die Einheit über einen „Spieß“, der das Herz am richtigen Fleck hatte, und seine Truppe jederzeit gut versorgte.

Geführt wurde die Einheit durch Oberstleutnant Hans-Jürgen Przybysz. Stellvertreter für Ausbildung war Major Otto Schulz. Schulz war mit Leib und Seele dem Tauchdienst verschrieben, hatte an die 5000 Tauchstunden und alle Berechtigungen im Tauchdienst. Er war die „Vaterfigur“ der Einheit. Er dachte und arbeitete systematisch und hielt nichts von spontanen Einfällen. Sein Markenzeichen war die Tabakpfeife. Kritiker behaupteten, dass sie ihm selbst unter Wasser nie ausging.

Bereits 1973 fand ein erster Ausbildungslehrgang für 15 vietnamesische Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften statt. Durch diese Ausbildung sollten die Vietnamesen das Taucherhandwerk erlernen, um in ihrer Heimat verminte Flussabschnitte von Minen und Unterwassersperren zu säubern. Die vietnamesischen Soldaten waren alle sehr fleißig, hilfsbereit und fachlich interessiert. Zu den deutschen Ausbildern Otto Schulz, Roger Meyer, Rolf Wernitz und Alfred Hoppe hatten sie ein sehr kameradschaftliches Verhältnis.

Über die Erfüllung ihrer Aufgaben in der Heimat beneidete sie kein deutscher Ausbilder. Wir wussten, dass ihr Auftrag zuhause ein Himmelfahrtskommando war.

 

Für NVA-Verhältnisse hatten die Taucher besondere „Privilegien“. So wurde die Tauchstunde im Freigewässer mit 10 Mark und ein täglicher Verpflegungssatz von 6.5 Mark gezahlt.

Die TLE-40 verfügte über eine moderne stationäre Taucherdruckkammer der „Firma Dräger aus Lübeck“, sowie über 3 transportable Druckkammern. So konnten Tauchereinsätze bis 40 m Tauchtiefe medizinisch am Wasser sichergestellt werden. Neben den Trainingsabstiegen in der stationären Taucherdruckkammer bis 80 m Tauchtiefe wurden verunfallte Taucher nach Stickstofferkrankungen oder Barotrauma der Lunge von den Taucherärzten Dr. Michael Birkholz und Dr. Michael Fischer betreut und behandelt.

Das Taucherstammpersonal verfügte über eine geringe Anzahl französischer Neoprenanzüge und schwedische Constantvolumenanzüge. Die Anzüge wurden gehütet und gepflegt und an nachfolgende Generationen „weitervererbt“.

 

Neben der Ausbildung erfolgten vielseitige Tauchereinsätze im zivilen Bereich oder bei den sowjetischen Streitkräften.

Besonders in den Jahren 1972-1985 wurden die Bereitschafts- und Einsatzkräfte der TLE zu Einsätzen alarmiert, um verunglückte Soldaten und zivile Personen zu retten und gesunkene Technik zu bergen.

Die Bergung der Technik, so schwierig sie auch war, gelang immer. Um Menschen zu retten kamen jedoch die Tauchereinsatzkräfte zu spät. Die Entfernungen zum Einsatzort waren zu groß.

 

Unsere Taucher wurden oft bei Hochwasser an den Wehren, Schöpfwerken, Wasserdurchlässen und in den Gewässern um Havelberg eingesetzt. Diese Tätigkeiten waren Inhalt der Ausbildungsprogramme und ergänzten unsere Ausbildung.

 

Einer der kompliziertesten Einsätze erfolgte „nicht geplant“ 1981 im Rahmen einer russischen Militärübung.

 

Der Januar im Jahr 1981 war es relativ mild. Ende des Monats fanden im Bezirk Magdeburg an der der Elbe immer große Manöver der Sowjetarmee im Raum Quizöbel nahe Klietz-Rathenow statt.

Im Rahmen einer Armeeübung setzte eine Panzerdivision über die Elbe in Richtung Klietzer Übungsplatz über, um einen Brückenkopf zu bilden.

Diesen Brückenkopf sollte ein Panzerrregiment der ersten Staffel der Division bilden.

Dabei wurde die Trasse für Unterwasserfahrt durch die Elbe nur oberflächlich aufgeklärt.

Die Panzer durchquerten den Fluss rechtwinklig, die schwimmfähigen SP`z schwammen an der Wasseroberfläche zum anderen Ufer.

 

Die Elbe führte zu diesem Zeitpunkt Hochwasser. Die Elbwiesen standen unmittelbar vor der Überschwemmung. Die Strömungsverhältnisse der Elbe betrugen über 2,5m/s. In Strommitte, der Fahrrinne der Schiffe, existierten Löcher zwischen 6 und 8m Tiefe. In diesen Löchern blieben zwei Panzer liegen und erreichten nicht das jenseitige Ufer. Ein BMP Schützenpanzer fuhr auf einen jenseitigen Buhnenkopf und versank.

 

Teile des Stammpersonals der TLE-40 wurden in der letzten Januarwoche 1981 an einem Freitag gegen 16:00 Uhr alarmiert und erreichten gegen 17:30 Uhr den Unglücksort in Gnevsdorf.

Die Dämmerung hatte eingesetzt. Die Szenerie war gespenstisch. Dunkelheit, ein Fluss mit Hochwasser, kahle Bäume und Sträucher. In dieses Bild mischten sich hektische Gespräche in deutscher und russischer Sprache.

Für die Taucherlehreinheit-40 war der Kdr. OTL Przybysz und der Stellvertreter für Ausbildung Major Otto Schulz und ausgesuchte Taucher des Stammpersonals vor Ort.

Wir sollten an diesem Abend noch mit dem Einsatz beginnen und tauchen!

Welch ein Wahnsinn!!!

Langsam sickerte bei uns das Ausmaß des Vorkommnisses durch.

Zwei T-62 Panzer lagen in Strommitte und ein BMP Unterstrom in der Nähe eines Buhnenkopfes. Zwei Tage zuvor bereits war dieses Vorkommnis passiert. Eine westdeutsche Schubeinheit war auf einen in Strommitte liegenden Panzer gefahren und lag Schlagseite am diesseitigen Ufer. Der Kapitän war der einzig zufriedene Mensch an diesem Abend.

Die Elbe war eine internationale Transitstraße und brachte der ehemaligen DDR reichlich Devisen. Nun lagen schon einige Schubeinheiten Unter-und Oberstrom in der Elbe vor Anker und warteten auf die Weiterfahrt. Der DDR brachte es Ausfallzeiten und Strafzahlungen in harter DM.

Deshalb sollten die Taucher sofort unter irgendeiner Fremdleitung eines Generals mit dem Tauchereinsatz beginnen.

Die Soldaten in den gesunkenen Panzern waren alle tot und ein aufbauen von Suchsystemen bei Dunkelheit war unmöglich.

Jürgen Przybysz und Otto Schulz fällten im Gegensatz zur russischen und deutschen Generalität den Entschluss, erst am kommenden Morgen mit dem Einsatz zu beginnen.

Otto Schulz hatte die kluge Idee mit Hilfe einer GSP-Fähre, mit Tauwerk und 50 Kilo-Ankern

im vermuteten Bereich von Unterstrom nach Oberstrom der Elbe nach den versunkenen Panzern zu suchen.

Der Anker würde sich am Panzer verfangen und uns die Stelle markieren.

Diese Idee wurde am Folgetag gut umgesetzt.

Wir waren gegen 08:00 Uhr am Wasser in Gnevsdorf.

Przybysz war Leiter des Einsatzes und ließ sich auch den ganzen Tag von „Höchster Stelle“ nicht in die „Suppe“ spucken.

Otto Schulz teilte die Ausbilder Dieter Freitag, Hartmut Pohl und Wolfgang Röhrborn als erste Taucher ein. In Reserve Roger Meyer und Rolf Wernitz und Peter Seewald.

Um uns als Taucher schwerer zu machen und besser auf Grund arbeiten zu können legten wir entgegen der Vorschrift mehrere Gewichtsgurte an.

Zur Kennzeichnung des Panzers nahm jeder Taucher eine Bojenleine und eine Stahltrosse mit. Die Stahltrosse wurde auf Grund in den vorderen Abschlepphaken des Panzers gelegt in das zweite Auge die Bojenleine gebunden.

Die starke Strömung der Elbe, die totale Dunkelheit unter Wasser, Wassertemperatur von 3° C, das schleppen der Trosse und die Unterkühlung unserer Körper stellten höchste Anforderungen an Taucher und Sicherstellungspersonal.

Beim letzten Panzer kam es fast zu einem Vorkommnis. Ein Taucher verfing sich in einer Leine am gesunkenen Panzer.

Gegen 18:00 Uhr wurde der letzte T-62 von diesseitigen Bergepanzern ans Ufer gezogen.

Um 20:00 Uhr waren wir fertig, verluden die Ausrüstung auf unseren Taucherural, als der sowjetischen Befehlshabers nach uns rief.

Er gab uns freundlich die Hand und bedankte sich in sehr gutem Deutsch für unsere Hilfe.

Die Panzer wurden erst nach unserer Abreise nach Havelberg aus dem Wasser gezogen.

 

Im Rahmen der Woche der Waffenbrüderschaft Ende Februar wurden die beteiligten Taucher in Rathenow mit einer Sachprämie ausgezeichnet.

Bei diesen Ereignissen gab es immer einen regen Erfahrungsaustausch, Soldatenwettkämpfe und Sportveranstaltungen zwischen den Soldaten. Abgerundet wurden die Veranstaltungen mit Kulturveranstaltungen und einem gemeinsamen Essen. Die russische Seite gab sich immer sehr viel Mühe, war ehrlicher und freundlicher Gastgeber.

Auf der Rückfahrt nach Havelberg kamen nochmals die Gedanken des Tauchereinsatzes in unseren Köpfen hoch. Die enormen Anspannungen während des Einsatzes und die toten russischen Panzerbesatzungen gingen nicht aus unseren Köpfen.

 

Auch die Suche nach vermissten und ertrunkenen Personen in Seen und Flüssen im Bereich der ehemaligen DDR war Auftrag der Ausbilder der Taucherlehreinheit.

Die Einsätze brachten zwar Abwechslung in den Ausbildungsprozess, doch waren die Taucher von psychischen Belastungsstörungen nach den Einsätzen gezeichnet.

 

Selbst der kleine Kliezer See forderte immer wieder menschliche Opfer. x*

Eines der bewegendsten und dramatischen Erlebnisse für unsere Taucher war die Bergung von drei ertrunkenen Kindern einer Familie aus dem Klietzer See. Die sechsjährigen Zwillinge und ihre sieben Jahre alte Schwester waren im Januar 1988 in den frühen Abendstunden auf das dünne Eis des Gewässers gegangen und eingebrochen, ohne dass es jemand bemerkte.

Als die Einsatzkräfte der TLE am Ort des Geschehens eintrafen, gab es von Seiten der Polizei nur die Vermutung, dass die Kinder im See ertrunken sein könnten.

Gegen Mitternacht wurden die Mädels durch die Ausbilder der Einheit- die Fähnriche Dieter Freitag und Thomas Mörig – geborgen.

Dieter Freitag sagte, als die Taucherausrüstung ablegte: „Ich habe schon einige Soldaten aus dem Wasser gezogen und wurde dafür oft belobigt. Aber drei kleine tote Kinder noch nie. Das war ein hartes Stück seelischer Anstrengung. Ich möchte keinen Dank“.

Beide Taucher kämpften noch lange mit diesem posttraumatischen Ereignis.

 

Mitte der 80-ger Jahre änderten sich die Militärdoktrinen des Warschauer Vertrages. Ein Angriffskrieg des Warschauer Paktes Richtung Westeuropa war nicht mehr gewinnbar!

Beide Militärbündnisse – NATO und Warschauer Vertrag – einigten sich zum Wohle der Völker zur Abrüstung von Atomraketen und Panzerverbänden.

Somit änderte sich auch der Bedarf an Pioniertauchern der NVA.

Am 30.11. 1986 hörte die Taucherlehreinheit auf, als selbstständiges Strukturelement zu bestehen. Sie wurde die zweite Ausbildungskompanie im Pionierausbildungsbataillon 19. Das PiAB-19 bezog seinen Standort in Havelberg.

Hartmut Pohl

Oberstleutnant a.D.

 

x*  Pioniere der NVA „Ein Blick zurück“, Seite 288